Dr. Joseph Mundigl

Über die Archivierung von Audio - Magnetbändern

Die Archivierung von Audio-Magnetbändern ruft nach einigen Jahren unter Umständen ganz spezifische Probleme hervor, deren Lösung nicht einfach ist. Eine entscheidende Rolle spielen dabei die Lagerung und die Raumbedingungen selbst. Nach einem tropisch feuchten Sommer mit monatelangen Hochtemperaturabschnitten sowie Windstille und damit gefährlich erhöhter Luftfeuchtigkeit wird das Abspielen vieler Magnettonträger eine Katastrophe, die für die meisten der betroffenen Bänder bei unsachgemäßer Behandlung das Aus bedeutet. 

Beim Abspielversuch bilden sich dicke Schmierstellen an Tonköpfen und Bandführungen, die auch bei Maschinen mit kräftigen Wickelmotoren nach kurzer Zeit zum Bandstillstand führen, der Abspielversuch wird von diesen Schmierstellen, die sich aus verschiedenen Komponenten zusammensetzen, durch deren Bremswirkung vereitelt. Erfahrungswerte zeigen sogar einen zunächst widersprüchlichen Zusammenhang, nämlich, je kräftiger die Zugkräfte der Wickelmotoren, umso stärker wird das Magnetband an die Bandführungsteile gepreßt und umso eher kommt es durch Abrieb zum Stillstand. 

Nicht alle Bänder sind davon betroffen. Bei BASF z. B. gibt es nach Jahren nur einen tolerierbaren Bandabrieb. Andere Bandsorten - wie auch Revox 631 - verhalten sich regelrecht bösartig. Sehr oft gereicht das Beharren der Hersteller auf "alten" Rezepturen für die Zusammensetzung von Magnetbändern hier zum Vorteil. 

Grund für starke Schmierstellen ist die teilweise Auflösung der Leimschicht, die die Magnetschicht mit dem Träger verbinden soll. Der Aufgabenbereich für beide ist kompliziert, es wirken Magnetpartikel, Bindemittel, Gleitmittel, Fungizide, Zusätze zur Sicherung der Leitfähigkeit, Stabilisatoren usw. zusammen. Manche Hersteller verwendeten zeitweise einen Kleber, der sich im Laufe der Zeit chemisch verändert. Alte Bandchargen sind vom Verfall weit weniger betroffen als Material besonders um und nach 1980. "Im Magnetband wird ein vernetzter Polyester-Polyurethan-Binder benutzt. Ein Polyester ist eine Kette von Ester-Verbindungen. Ester bildet sich aus chemischen Reaktionen zwischen Säuren und Alkoholen. Eine solche Reaktion setzt als Nebenprodukt Wasser frei ... Glücklicherweise ist Hydrolyse reversibel und tritt nicht notwendigerweise bei angemessenen Lagerbedingungen auf." (zitiert nach einem Brief von F. Engel / BASF an den Verfasser, aus: Walter E. Davies, Preserving Magnetic Tapes, Broadcast Engineering, October 1987).(1) 

Besonders wichtig erscheint zunächst, daß der Vorgang der Wasserbildung - die Hydrolyse - reversibel ist, was besagt, daß sich diese auftretende Feuchtigkeit zurückbilden kann. Darauf hinzuarbeiten ist oberste Notwendigkeit, wenn der Zustand akut geworden ist, die Tonkopfverschmutzung und die Abriebe an bandführenden Teilen abnorm zunehmen. 

Die Lagerbedingungen:
1. Band auf dem rechten Wickelteller belassen ("tail out" lagern), um Vor echos zu vermeiden. Haben sich Vorechos bereits massiv eingeschlichen, muß ein sogenannter "Echo Razor"(2) eingesetzt werden. Der aber kann nur funktionieren, wenn das zu behandelnde Band an der Oberfläche intakt ist.
2. Das Band mindestens im Jahr einmal umspulen, damit angesammelte Feuchtigkeit und Alkoholanteile entweichen können, sowie der Kopiereffekt durch mechanische Belastung unterbrochen wird.
3. Die Raumtemperatur sollte 23 Grad Celsius niemals überschreiten, da der Kopiereffekt ab da mit zunehmender Raumtemperatur ansteigt. Ideal wären konstant 20 Grad Celsius. Aber: Die idealen Lagerbedingungen werden oft nicht einmal in Rundfunkanstalten eingehalten.
4. 50% Luftfeuchtigkeit gelten für die Bandlagerung als ordentlicher Wert, besser bleibt man darunter (Klimaanlage!, in seltenen Glücksfällen genügt ein geeigneter Keller). Zur Diskussion stellen möchte ich noch die Lagerung in einem Kühlschrank mit sehr geringer Kühlleistung, wobei in diese Überlegung einbezogen werden muß, daß das Aggregat in gekapseltem Zustand keine Induktionsströme oder elektrische Felder abgeben soll. Ist die Kühltemperatur zu niedrig, z. B. 5 Grad Celsius, kristallisiert das Gleitmittel und tritt als weißliche Schicht aus. Dadurch entstehen Kopfzusetzer und plattenförmige Abriebe an Bandführungsteilen. 

Es ist allemal eine gründliche Überlegung wert, ob von diesen Prozessen des Zerfalls nicht jegliche Magnetschicht, die mit Hilfe eines "Klebers" der oben beschriebenen Sorte auf einen Träger montiert wurde, betroffen ist. "Disketten, DAT-Bänder, S-VHS-Bänder haben jeweils verschiedene Rezepturen, in denen sich natürlich immer wieder gleiche oder ähnliche Komponenten wiederfinden." (Friedrich Engel, BASF, Fax an den Verf. vom 7. 10. 1994) 

Dann sind nämlich auch digitale Systeme gefährdet, bis hin zur simplen Diskette, wobei diese noch am wenigsten Schaden nehmen dürfte, da ja hier keine Schichten dicht aufeinander gewickelt sind. Die Diskette ist aber ebenso einer unmittelbaren mechanischen Belastung seitens des Abtastvorgangs ausgesetzt, nicht hingegen die Festplatte. Auch der Lesekopf einer Floppy kann zuschmieren. Den Absonderungen an der Oberfläche der Magnetschicht - wenigstens der Hydrolyse - versuchen die Hersteller beizukommen (so Engel / BASF), können sich jedoch nur auf die Wahrscheinlichkeit von Tests verlassen. Praxiserfahrungen wird die Zukunft bringen. 

Der Kopiereffekt ist bei dicht übereinander gewickelten Magnettonträgern eine generell entstehende Störung der Aufzeichnung. Seine Größe hängt ab von der Dicke des Bandes, besonders des Trägermaterials, der Beschaffenheit der Rückseite und der Frequenz, sowie der Amplitude der Aufzeichnung. Bis zu einem gewissen Grad ist folglich die Kopierdämpfung von der Konstruktion, dem Aufbau des Bandes abhängig, auch natürlich von der aufgezeichneten Wellenlänge.(3) 

Der Kopiereffekt scheint sich bei gewickelten Tonträgern generell nicht in vernachlässigbaren Dimensionen zu bewegen. Liest man beispielsweise die Betriebsanleitung zum ADAT-Digital-Recorder, so steht im Kapitel 9.3 "Cassettenpflege", daß diese im Jahr einmal vollständig umzuspulen sei, "So vermeiden Sie Vorecho-Effekte ...". Übersprechen zwischen den Schichten vollzieht sich demnach auch bei Digitalbändern. Die Frage ist, inwieweit es wirksam werden kann. Oder man hat bei Alesis-ADAT diesen Passus unreflektiert aus der Anleitung für eine Analog-Mehrspur-Maschine übernommen, denn technisch gesehen schreibt eine DAT-Maschine die Digitalwerte natürlich in digitaler Form auf, und diese besteht in positiver und negativer Sättigung des Aufzeichnungsbandes. Entscheidend aber sind die unvergleichlich kürzeren Wellenlängen, die mit dem Audiobereich auch ganz entfernt überhaupt nichts zu tun haben können, also ist hier ein potentieller Sicherheitsfaktor gegen Übersprechen bei allen digitalen Aufzeichnungsformen von Audiosignalen vorhanden, denn ein durch Übersprechen kopiertes Signal kann niemals die Amplitude bzw. den Sättigungswert eines direkt aufgeschriebenen Digitalsignals erreichen. 

Durch die mechanischen Unsicherheitsfaktoren der Bandoberfläche ist also - die Langzeitstabilität betreffend - offenbar von der digitalen Aufzeichnung ebensowenig absolute Beständigkeit zu erwarten, wie von der analogen. Und bedenkt man, daß - wie noch zu zeigen ist - ein Spulenband eher in einen lauffähigen Zustand zu bringen ist, als eine Cassette, weil unmittelbar am Band manipuliert werden kann, dann bleibt nur die Diskussion um "digital" oder "analog" als Entscheidungskriterium für die Aufzeichnungsmethode und, was die Tonqualität betrifft, darf man die Überlegungen der Herren Neve, Schiefele, van den Hul, Klimo und vielen, vielen anderen, die vehement mit tragfähigen Argumenten das analoge Klangbild verteidigen, nicht ausgrenzen! Für die Massenproduktion reicht noch allemal die 16-bit-Technologie. 

Was nun aber, wenn das Dilemma eingetreten ist, wenn die Bänder hochwertige Aufnahmen nicht mehr hergeben wollen. Meine Erfahrung nach diesem Sommer hat gezeigt, daß dem Abrieb, sowohl dem braunen (Magnetschicht), wie dem weißen (Leimschicht), die oft genug nicht zwangsläufig zusammen auftreten, schon beizukommen ist. Da der meiste Abrieb sich an starren Bauteilen , z. B. dem rechten Umlenkteil einer Revox-Maschine sammelt, kann man diese gegen eine bewegliche, kugelgelagerte Rolle austauschen. (Kostenpunkt im Selbstservice etwa 30,- DM, zugehörige Beilagscheiben gleich mitbestellen). Machtlos ist man dagegen, wenn die Antriebswelle sehr stark aufgerauht ist (Revox machte das gewisse Zeit. Das war wohl des Guten zuviel, um eine einwandfreie Traktion des Bandes zu sichern), dann wird die Magnetschicht regelrecht beackert, zerrieben, und geht unweigerlich ab. 

Das Ampex 457 (35 µm = Revox 641) und das Ampex 456 (50 µm) Bandmaterial unterscheidet sich nur durch die Dicke. Beim Ampex 456 passen nur 762m auf eine 27cm-Spule (= Bandmaterial für 2 Std. bei 9,5cm bzw. 1 Std. bei 19cm.)

Aufgerüttelt durch mehrfache Meldungen und konkrete Hilferufe aus dem Freundeskreis, habe ich meine eigenen Bänder inspiziert und das Phänomen eben an einem Revox 631 entdeckt. Da dieses Band dem Geruch nach von Scotch stammen könnte (das Revox 641 ist identisch mit dem Ampex 457), so die Auskunft von Tonstudiobedarf Bluthard, Stuttgart)(4), lassen sich berechtigte Schlüsse auf die Zustände bei einigen Professional-Bändern ziehen. Beim Umspulen habe ich alle meine Bänder durch ein neutrales, trockenes Tempo-Taschentuch laufen lassen, das ich zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand hielt, um den Druck auf das Band regeln zu können. Davon ist mehr zu halten als von einem mit Vlies (Viledon DT 1452 weiß, zitiert nach BASF)(2) überzogenen Löschkopf, da die Abriebe auf der Vorder- und Rückseite des Bandes gleichermaßen auftreten können. Besonders rückseitenmattierte Bänder machen Schwierigkeiten. Das Tuch kann rasch gegen ein sauberes gewechselt werden, obwohl der Reinigungsvorgang so wenig wie möglich unterbrochen werden sollte, da der angesammelte Klebstoff bei einem Bandstop am Band festhält und man dann zusehen muß, wie er von dort wieder wegzubekommen ist. (Hilfreich ist dabei die Kunststoffnagelfeile "Niegelob / Solingen" mit einem löffelförmigen Ende). Erfolge kann es bei sehr stark schmutzenden Bändern, die ansonsten unbrauchbar wären, geben, wenn man diese mehrfach unter Umgehung der Bandführungsteile - nur direkt von Wickel zu Wickel - mit größter Vorsicht umspult, dabei mit Tempotuch reinigt und nach einer Pause von mehreren Tagen das Band über Bandführungen normal, "tail out" aufwickelt. Bei der überwiegenden Zahl der Bänder stellte ich fest, daß der Abrieb an den Bandkanten am stärksten war, in der Bandmitte sich oft gar keiner fand. 

Daraus läßt sich folgern, daß der Abrieb wesentlich durch die von außen ans Band gelangende Luftfeuchtigkeit verursacht wird. Die externen Einflußfaktoren spielen eine wichtige Rolle. Zu hinterfragen ist auch, ob es Sinn macht, ein Magnetband in der immer mitgegebenen Kunststoffhülle aufzubewahren, weil das Band möglicherweise am eigenen Hydrolysevorgang zugrunde geht und diese Verpackung gegen tropische Langzeit-Lagerbedingungen machtlos ist, eher wäre der Einsatz hygroskopischen Materials zu überlegen. 

Den Reinigungsvorgang kann man durchaus zeitlich etwas vorziehen. Die Überspielung der Bänder verlege man am besten in einen sehr trockenen Wintermonat. Die freigesetzte Feuchtigkeit hat bis dahin Zeit, sich zurückzuziehen (einen beheizten Raum vorausgesetzt). Die Restmenge wird schließlich während des Umspulens abgegeben. 

Stellt sich heraus, daß der Abrieb durch das Tempotaschentuch erheblich reduziert werden kann, soll schließlich der ganz normale Abspielvorgang dafür sorgen, daß die Bandwickel so glatt wie möglich ausfallen. Beim schnellen Umspulen entstehen sogenannte überschießende Wickelteile, wobei sich einzelne Lagen aus dem Wickel herausheben. Vor allem, wenn die Achsen der Wickelteller und der Dreizack nicht geometrisch gerade sind. Für kurzzeitige Lagerung kann das bleiben. über längere Zeit so belassen, neigt das Band zu Verformungen an den Bandkanten, die schließlich beim Abspielen für Unregelmäßigkeiten sorgen, die hörbar sein können. 

Die Feuchtigkeit kann man radikaler durch Aufheizen in einem Ofen, auch Mikrowelle, loswerden. Der Vorgang ist jedoch meiner Meinung nach dermaßen riskant, daß ich unbedingt die Lektüre der unten angegeben BASF-Schrift empfehle, da ich die Haftung für mißratene Versuche gewiß nicht übernehmen werde. 


Literatur und Quellen:

(1) Walter E. Davies, Preserving Magnetic Tape, in: Broadcast Engineering, October 1987
(2) Nachbehandlung von Audio-Archivbändern, V/MT, A. Vögeding, 11. 04. 1994, BASF PROFESSIONAL AUDIO VIDEO
(3) Johannes Webers, Tonstudiotechnik - Schallaufnahme und - Wiedergabe bei Rundfunk, Fernsehen, Film und Schallplatte, Franzis / München, 1968, hier: Zustand des Tonträgers nach der Aufzeichnung, S. 287 ff.
(4) Tonstudiobedarf Heinz Bluthard, 70173 Stuttgart 1, Neue Brücke 6, Tel 07 11 / 29 76 90, Fax 07 11 / 2 26 83 07


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ZeM Mitteilungsheft Nr. 16 (Januar 1995), S.18 [vorheriger Artikel] [nächster Artikel]